Kerstin Jungmann
Head of Digital Wealth Channel Zeedin
An den Rahmenbedingungen hat sich im Grunde nichts geändert: Die aktuellen Herausforderungen bei Energie und Inflation sowie die geopolitischen Konflikte bestehen weiterhin fort. Dennoch gab es zuletzt positive Signale an den Börsen und auch stärkere Konjunkturdaten, als von vielen erwartet. Wie reagieren darauf die Anlegerinnen und Anleger? Und vor allem: Wie ist aktuell die Stimmung? Marlon Herm, Relationship Manager bei Zeedin, gibt einige Einblicke in die Überlegungen seiner Kunden und erklärt die Hintergründe. Stellenweise besteht regelrecht Optimismus – ist dieser berechtigt?
Hallo Marlon, der DAX hat zuletzt einen großen Sprung nach oben gemacht und ist dort auch geblieben. Salopp gesagt: Das ist doch eigentlich ideal zum Geld anlegen.
Das zeigt, wie schnell es auch wieder aufwärts gehen kann. Und tatsächlich spüren wir derzeit bei vielen Anlegerinnen und Anlegern so etwas wie Aufbruchstimmung. Seit Jahresbeginn standen belastende Faktoren, negative Headlines und verhaltene Konjunkturerwartungen im öffentlichen Fokus. Da wurden positive Nachrichten wie die sinkenden Inflationsdaten in den USA umso herzlicher begrüßt, was unter anderem den DAX über die Marke von 14.000 Punkten hat klettern lassen. Ohne den Anlegern die Euphorie nehmen zu wollen, muss man trotzdem darauf verweisen, dass gewisse makrookönomische Problemfelder vorerst fortbestehen. Beispiel: die weiterhin hohen Energiepreise, die wiederum einer der Gründe für die anhaltend hohe Inflation sind.
Welche Learnings zieht ihr bzw. ziehen eure Kunden aus den positiven Entwicklungen der vergangenen Wochen – auch was Geldanlage generell angeht?
Jeder Anleger freut sich über steigende Kurse – so auch unsere Kunden. Einziger Wermutstropfen: Mancher Anleger hätte rückblickend doch gerne die Chance genutzt, in den vorherigen Wochen nochmals nachzukaufen. Das Learning dabei ist, dass man, wie hinlänglich bekannt dieser Tage, die künftige Kursentwicklung nicht vorhersagen kann und dementsprechend auch keine unmittelbaren positiven Kursentwicklungen. Somit sollte man versuchen, sich nicht auf den exakt günstigsten Augenblick zu versteifen. Vielmehr sollte man bei grundsätzlich günstigen Kursen eventuell einmal eher einsteigen und nicht abermals – in der Erwartung auf ein noch günstigeres Niveau – abwarten. Glücklicherweise bietet sich für unsere Kunden die Möglichkeit, aufgrund unseres aktiven Asset Managements von eben solchen volatilen Phasen zu profitieren und liquide Gelder zu investieren – ohne, dass der Kunde selbst aktiv werden muss.
Stichwort Volatilität: Das Auf und Ab der vergangenen Wochen und Monate zerrte sicherlich an den Nerven vieler Anleger. Ist nach diesen Erfahrungen ein anderes Verständnis für die Märkte vorhanden?
Ein Bullenmarkt, welcher stetig neue Allzeit-Hochs markiert, weckt natürlich in vielen Anlegern die Hoffnung, dass sich dieser Trend ohne Unterbrechung fortsetzt. Dies entspricht allerdings einfach nicht der Realität und einer gesunden Börse. Durch die aktuelle Marktphase erleben wir auch wieder mehr Realismus und erfahren, was die richtige Erwartungshaltung wert ist. Anleger mit wenig Börsenerfahrung erfahren also teilweise erstmals einen Bärenmarkt und negative Renditen, aber lernen eben auch, warum ein gut diversifiziertes Portfolio so wichtig ist. Und weshalb ein Ansprechpartner sinnvoll ist, der ihnen die Lage einordnen kann. Das vermittelt mehr Sicherheit und vermeidet Spontanreaktionen, wenn die Nachrichten gerade wieder schlecht sind.
Nach den Aufwärtsbewegungen der vergangenen Wochen: Ist der Zug für einen Einstieg eigentlich schon wieder abgefahren? Und droht es nicht wieder abwärts zu gehen?
Zunächst mal: Die Möglichkeit, in Wertpapiere zu investieren, besteht fortlaufend. Da sich die Vielzahl an Märkten nicht synchron bewegt, bieten sich auf Branchen-, Länder- oder Anlageklassen-Ebene immer Chancen. Gerade in unserem aktuellen Umfeld gehört eine gewisse Schwankungsbreite mit zum Börsenalltag. Wer diese gänzlich vermeiden möchte, kann letztlich nur auf Einlage-Lösungen zurückgreifen. Durch das steigende Zinsniveau erscheinen diese auf den ersten Blick wieder attraktiver, aber auf eine reale Rendite nach Abzug der Inflation darf man wohl vorerst nicht hoffen. Es muss kein Entweder-Oder zwischen Wertpapieren oder Einlagen stattfinden. Was besser zum eigenen Risikoprofil und der individuellen Situation passt, sollte in einem entsprechenden Rahmen gemeinsam eruiert werden. Historisch betrachtet darf man wohl sagen, dass Gelder, welche als Anlage zur Verfügung standen und über einen längeren Zeitraum in die globalen Märkte investiert wurden, in aller Regel und im speziellen Hinblick auf die vergangene Dekade, die bessere Lösung waren.
Du hast von Aufbruchstimmung bei euren Kunden gesprochen. Siehst du diese denn als nachhaltig an?
Sie ist aus meiner Sicht jedenfalls nicht unberechtigt. Natürlich nehmen unsere Kunden die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wahr, darunter die Erwartung einer Rezession. Gleichwohl fielen Unternehmensmeldungen und auch Konjunkturdaten zuletzt besser aus als erwartet. Letztlich ist die Logik relativ einfach: Wenn man immer auf den nächsten Crash wartet, ist auch immer der falsche Zeitpunkt für einen Einstieg. Das ist nicht nur eine Floskel. Wenn wir einfach nur einen breiten Index betrachten, zeigt sich: In Summe sind die Aufwärtsphasen an den Börsen länger als die Abwärtsphasen. Somit werden zusammenfassend auch mehr Gewinne als Verluste erzielt. Genau diese Erfahrung machen derzeit auch viele Anleger, die investiert geblieben sind oder sogar nachgekauft haben.
Was war das bemerkenswerteste Feedback zum Marktgeschehen, das ihr zuletzt von euren Kunden im direkten Gespräch bekommen habt?
Ich habe kürzlich mit einer Kundin gesprochen, welche die Börse bereits seit den 80er Jahren begleitet und entsprechend große Erfahrung hat. Aufgrund all ihrer gemachten Erlebnisse mit dem Kapitalmarkt und damit verbunden auch mit vielen Bärenmärkten war ihr A, dass sie gerne auch dieses Mal die Gelegenheit zum Investieren nutzen wollte. Es ergab sich daraus ein sympathisches Gespräch über ihre persönliche Börsengeschichte. Zwei Dinge die mir daran sehr gefallen haben, sind die ansteckende Portion gesunder Optimismus sowie das Erlebnis, unsere Kunden wieder ein Stück besser kennengelernt zu haben.
Mal spitz gefragt: Welche Gewinne konnten diejenigen mitnehmen, die in den vergangenen Wochen den idealen Zeitpunkt gefunden hatten?
Diese Frage ist verständlich und ließe sich abhängig von ganz individuellen Fällen auch sicherlich beantworten. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass es „den“ idealen Zeitpunkt eigentlich nicht gibt. Wichtig ist vielmehr, investiert zu sein. Ein Einstieg ist im Grunde immer lohnend, natürlich in Abhängigkeit vom zeitlichen Anlagehorizont. Eine gute Herangehensweise für Anleger ist auch ein sukzessiver Einstieg: Damit teilt man das Investment zeitlich auf und deckt so auch günstige Zeitpunkte ab, um anschließend besser von Aufwärtsbewegungen profitieren zu können. Gleichzeitig kompensiert man so auch weniger günstige Zeitpunkte.
Welche Einflussfaktoren werden in der nächsten Zeit aus eurer Sicht für das Marktgeschehen relevant?
Im Grunde sind es dieselben Faktoren, die auch die bisherige Situation bestimmen. Dazu zählen unter anderem das Lieferketten-Thema, verbunden mit der Covid-Situation in Asien. Natürlich der Fortgang des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Die Entwicklung der Inflation insbesondere in Europa und den USA. Oder auch die Lage auf den Rohstoff-Märkten. Natürlich bleibt abzuwarten, wie sich diese weiter auswirken werden. Ein Blick in die Zukunft mit verbindlichen Kursverläufen wäre nicht seriös. Aber wir können feststellen: Die Stimmung bei vielen Anlegern ist derzeit gut.
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