Die heutigen Renditeniveaus sind aus Sicht von Marktteilnehmern, die bereits mehrere Dekaden am Bondmarkt tätig sind, kaum wiederzuerkennen. Die historisch einmalige Antwort von Geld- und Fiskalpolitik scheint den langfristigen Abwärtstrend umzukehren – allerdings nur auf den ersten Blick. Wir fassen die Faktoren einer mittelfristigen Fortsetzung des Bondbullenmarktes zusammen.
Tektonische Renditeverschiebungen
Die Renditeniveaus haben sich über die vergangenen vier Jahrzehnte gewaltig verändert. Nach Höchstständen von rund 16 % bei der zehnjährigen US-Treasury-Rendite im Jahr 1981 und von über 9 % (1991) bei Bunds gleicher Laufzeit sind die Renditen mit einigen Unterbrechungen aber letztlich unaufhörlich gesunken. Im Falle der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen gab es im Juni 2016 für die Dauer von Rund drei Monaten den ersten Durchbruch der „Nulllinie“. Seit März 2019 befindet sich die deutsche Benchmarkrendite kontinuierlich in negativem Terrain, mit einem Tiefstand von -0,9 % zum Hochpunkt der Corona-Pandemie. Mit der nachhaltigen Aufholjagd der europäischen Volkswirtschaften, flankiert durch fiskal- wie geldpolitischen Stimulus, nimmt das deutsche Renditebarometer allmählich wieder Anlauf auf die 0 %-Marke.
Kurfristig steilere Renditekurven
Auf Sicht von 12 Monaten denken wir, dass die Benchmarkrenditen das obere Ende unserer Prognosekorridore testen sollten: die zehnjährige Bundrendite erwarten wir zwischen -0,20 und 0,50 %; das US-Pendant gleicher Laufzeit erwarten wir zwischen 1,50 und 2,40 %.
Kurzfristig werden die Märkte weiter über die Entschlossenheit der Zentralbanken spekulieren und in diesem Umfeld einen übermäßigen Renditeanstieg in Relation zu den Fundamentaldaten zulassen. Markt-Erwartungen an eine Drosselung der Fed-Anleihekäufe dürften sich in den kommenden Wochen und Monaten eher noch verstärken. In der recht komplexen Gemengelange spielt die Entwicklung des US-Arbeitsmarktes die zentrale Rolle – noch vor Inflationsraten, die bis in die zweite Jahreshälfte hinein über zwei Prozent liegen und die Inflationshysterie weiter anheizen dürften. Zur Erinnerung: Der Fokus der Fed auf das Beschäftigungsniveau ist extrem hoch. Je stärker und nachhaltiger der Beschäftigungsaufbau an Fahrt aufnimmt, desto deutlicher werden die oberen Hälften unserer Prognosekorridore getestet.
Was spricht in der kurzen Frist (12-Monate) gegen steigende Renditen? Sollte es in Folge von Regionen übergreifenden Mutationsschocks zu einem Abbruch der synchronen weltwirtschaftlichen Entwicklung kommen, läge die Reaktion von Zentralbanken (längere Nettoankäufe) und von den Renditen auf der Hand.
Mittelfristig sinkende
Renditen möglich
Sobald aber die massiven Fiskal- und Geldpolitik-Effekte abebben, sind wir der Ansicht, dass sich die weltweiten Renditen nach der Bewältigung der Corona-Pandemie nicht deutlich von den Niveaus wegbewegen, die vor dem Corona-Schock herrschten. Vielmehr glauben wir, dass Anleihen auch in Zukunft als Wertspeicher sowie als wirkungsvolle Absicherung für Risiko-Anlagen im Rahmen unserer strategischen Asset Allokation dienen werden. In den kommenden 24 bis 36 Monaten erwarten wir die zehnjährigen Benchmarkrenditen beiderseits des Atlantiks gegenüber unserem Kurzfristszenario wieder leicht tiefer. Bei unserer Renditeprognose nehmen die nachfolgend dargestellten Fundamentalfaktoren für die Zins- bzw. Renditeentwicklung eine Schlüsselrolle ein. Im Ergebnis stützen sie unsere Einschätzung von wieder sinkenden respektive niedrig bleibenden Renditen, sobald die Covid-19-Krise weitestgehend abgehandelt ist.
Der Inflationsdruck per se hat über die vergangenen Dekaden nicht zuletzt aufgrund der globalen strukturellen Faktoren (Globalisierung, Digitalisierung) abgenommen. So hat die Pandemie der Digitalisierung einen enormen und aus unserer Sicht nachhaltigen Schub gegeben. Die Globalisierung, die im Zuge der Covid-19-Krise eine Verschnaufpause eingelegt hat, dürfte sich verstärkt fortsetzen. Grund: Noch internationalere Verflechtungen machen die Wertschöpfungsketten von Unternehmen robuster.
In diesem Kontext gehen wir zudem nicht von einer nachhaltigen Lohninflation, die eine zentrale, notwendige Bedingung mittelfristig steigender Renditen wäre, aus. Nach dem enttäuschenden US-Arbeitsmarktbericht im April würde selbst ein durchschnittlicher Stellenzuwachs von 500 Tausend Stellen (Durchschnitt der vergangenen drei Monate) erst im August 2022 dazu führen, das Beschäftigungshoch von vor der Pandemie zu erreichen und mithin 8 Millionen Stellen zurückzugewinnen.
Der Arbeitsmarkt in Europa leidet darüber hinaus unter strukturellen Problemen. Abseits von Entwicklungen, die Arbeiter und Arbeitnehmer ködern sollen, eine Stelle anzutreten („Sign-On-Bonus“), erwarten wir über die kommenden 12 Monate hinaus keine ausufernden Lohn- und Gehaltszuwächse. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen insbesondere in den entwickelten Volkswirtschaften gestiegen ist, deutet auf ein hinreichendes Arbeitskräfteangebot. Dies wiederum bedeutet, dass die (Lohn)Verhandlungsmacht von Arbeitern und Angestellten nicht unbegrenzt ist. Mithin gehen wir nicht von einer persistenten Lohn-Preis-Inflation aus. Als Zwischenfazit führen die globalen strukturellen Faktoren, zusammen mit der skizzierten Entwicklung an den Arbeitsmärkten zu sinkenden Renditen.
Des Weiteren gibt es demografische Entwicklungen, die in der Tendenz mehrheitlich zu sinkenden Renditen führen. Zwar impliziert das seit 2011 ansteigende Verhältnis von älteren im Renten- & jungen Menschen im Ausbildungsalter zu Menschen im Erwerbsalter (hier wird auch von der sogenannten „Abhängigkeitsquote“ gesprochen), dass weniger Ersparnisse gebildet und damit weniger Kapitalangebot zur Verfügung steht. Hintergrund ist hier, dass ältere Menschen relativ weniger und Menschen in der Ausbildung tendenziell nicht sparen. Doch mit zunehmender Lebenserwartung spart die arbeitende Bevölkerung mehr, um den Konsum über das Leben strecken zu können (Effekt: niedrigere Renditen). Zu berücksichtigen ist ferner, dass Menschen im Rentenalter im Vergleich zu früheren Generationen eine etwas höhere Sparquote aufweisen, denn sie leben länger und haben steigende Kosten der Gesundheitsversorgung zu schultern. Nicht zuletzt ist ein weitgehend konstantes Altru-
ismus-Motiv, demnach die „alte“ Generation der „neuen“ etwas hinterlassen möchte, unverändert vorhanden. Zudem ist der Kapitalkoeffizient (das Verhältnis von Kapitaleinsatz zu gesamtwirtschaftlichem Produktionsergebnis) angesichts der Demographie-Entwicklung gestiegen. In anderen Worten: Die rückläufige Geburtenrate hat zur Folge, dass in der Wirtschaft Kapital im Vergleich zu Arbeit reichlicher wird (Effekt: niedrigere Renditen).
Darüber hinaus sinkt das Produktivitätswachstum in einer alternden Gesellschaft. Empirische Studien zeigen, dass die individuelle Arbeitsproduktivität mit zunehmendem Alter zunächst steigt und dann sinkt, was die privaten Haushalte zu mehr Sparen bewegt, um einer Schrumpfung des materiellen Wohlstandes entgegenzuwirken. Erneut ist ein negativer Effekt auf die Renditen festzuhalten. Unglücklicherweise senken niedrige Renditen durch die Finanzierung von Zombie-Firmen das Produktivitätswachstum weiter.
Weitere Faktoren sinkender Renditen sind einerseits die globale Ungleichheit, da die (Grenz)Sparrate von Wohlhabendenden relativ höher ist und diese somit wiederum höhere Ersparnisse bilden können. Andererseits gibt es nicht nur in Zeiten der Pandemie das Motiv des „Vorsichtsparens“ („Precautionary Savings“), das sich nicht zuletzt aufgrund des strukturellen Wandels der Weltwirtschaft und der gesellschaftlichen Veränderungen fortsetzen sollte.
Eine zentrale Rolle bei den globalen Renditetrends kommt natürlich der Geldpolitik zu. Hier ist zunächst festzuhalten, dass die langfristige Renditeabwärtsbewegung aus europäischem Blickwinkel deutlich vor Gründung der Europäischen Zentralbank eingesetzt hat. Zentralbanken sind gleichwohl als Verstärker der skizzierten Renditebewegung aufgetreten und dürften dies im Zeitalter der „Zentralbankverwaltungswirtschaft“ wohl auch in den kommenden Jahrzehnten tun. In anderen Worten: wir erwarten auch zukünftig offene „Schleusen“ und niedrige Leitzinsen seitens der Notenbanken. Dieser Gedanke führt zur sogenannten „Debt-Overhang“ Problematik. Hiernach weist ein Land eine langfristig zu hohe Verschuldung auf, was gleichzeitig sein Wirtschaftswachstum limitiert. Um diese Situation zu entschärfen, gibt es neben dem Schuldenerlass die Möglichkeit der Renditekurvenkontrolle durch die Zentralbank. Eine höhere Staatsverschuldung geht grundsätzlich mit einem höheren Nettoangebot an Bonds einher (Effekt: steigende Renditen). Jedoch antizipieren die Wirtschaftsakteure die späteren Steuererhöhungen, was wiederum zu sinkenden Renditen führt.
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