Auch US-Kündigungswelle treibt Inflation
  • Ukraine
  • Economic Research AKTUELL
  • Research
  • News

Auch US-Kündigungswelle treibt Inflation

Economic Research AKTUELL

29. März 2022

Lesezeit: 7 Minuten

In den USA wird der kräftige Inflationsanstieg auch durch hohen Lohndruck angetrieben. Hierzu trägt eine Welle freiwilliger Kündigungen bislang unbekannten Ausmaßes bei. Wir erachten diese zwar als temporär. Wegen der davon ausgehenden Risiken für die Preisstabilität wird sich die Geldpolitik aber dennoch auf den Plan gerufen sehen.

In den USA hat sich seit einiger Zeit ein erheblicher Inflationsdruck aufgebaut. Neben kräftig gestiegenen Energiepreisen und erheblichen Angebotsengpässen trug dazu auch ein verstärkter Lohndruck bei. Obwohl die Beschäftigtenzahl noch immer um 2,1 Mio. unter ihrem Vor-Corona-Niveau liegt, deuten die kräftigen Lohnzuwächse auf einen engen Arbeitsmarkt hin. Ein Teil dieses Lohnauftriebs ist offenbar mit dem als „Great Resignation“, „Great Reshuffle“ oder „Big Quit“ bezeichneten Phänomen zu erklären: Einer noch nie dagewesenen Welle von freiwilligen Kündigungen, die den US-Arbeitsmarkt seit dem Frühjahr 2021 überrollt.

 

Job-Wechselbereitschaft in den USA und Großbritannien kräftig gestiegen

Ein angelsächsisches Phänomen

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind Arbeitnehmer meist risikoscheu und meiden Jobwechsel. Dieses Verhalten war in der Finanzkrise von 2007-09 ebenso beobachtbar wie im ersten Corona-Pandemiejahr 2020. Seit Anfang 2021 steigt die Zahl freiwilliger Kündigungen in den USA jedoch steil an (vgl. Grafik links S. 2), zuletzt erreichte sie Rekordwerte. Allein zwischen Juli 2021 und Januar 2022 gab es jeden Monat mehr als vier Millionen wechselwillige Arbeitskräfte. Eine ähnliche Entwicklung hat auch Großbritannien erfasst.[1] Bei Beschäftigten im Euroraum ist eine derart hohe Wechselbereitschaft dagegen bislang nicht auszumachen. Vielmehr zeigen beispielsweise Umfragen für Deutschland eine seit Jahren relativ konstante Arbeitskräftefluktuation.[2]

Eine hohe Wechselbereitschaft ist ein Inflationsthema - und damit auch wichtig für die Geldpolitik

Arbeitskräften fällt eine Job-Kündigung grundsätzlich leichter, wenn der Arbeitsmarkt stark ausgetrocknet ist oder die Aussicht auf eine bessere Bezahlung durch einen Stellenwechsel besteht. Suchen Unternehmen zugleich händeringend nach Arbeitskräften, sind sie meist auch bereit, höhere Löhne oder Prämien zu bezahlen, um wechselwillige Arbeitnehmer anzulocken oder zu halten. Gelingt es Unternehmen dabei, die dadurch steigenden Personalkosten an ihre Endkunden weiterzureichen, treibt dies die Verbraucherpreise zusätzlich an. Berechnungen der Federal Reserve Bank of Chicago zufolge hat die hohe Zahl an freiwilligen Jobwechseln im Jahr 2021 zeitweise zu rund einem Fünftel zum gesamten US-Inflationsanstieg beigetragen.[3] Können Job-Wechsler über längere Zeit jedoch deutlich höhere Löhne oder Prämien vereinnahmen als Arbeitskräfte, die ihrer Arbeitsstelle treu bleiben, ist das inflationsseitig ein Warnsignal und damit auch für die Geldpolitik von Bedeutung. Tatsächlich belegen Daten der US-Notenbank für die jüngere Zeit denn auch einen signifikanten Prämienanstieg am US-Arbeitsmarkt.[4]

 

[1] Mit 1,14 Mio. Stellenwechseln, die auf selbstbestimmte Kündigungen zurückzuführen sind, wurde dort im vierten Quartal 2021 der bislang höchste Stand seit 20 Jahren erreicht. Vgl. Office of National Statistics, Labour market overview, 15.02.2022.

[2] Vgl. beispielsweise: Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft: Fluktuationsrate: Weniger Personalwechsel durch Corona, 17.11.2021.

[3] Vgl. Renato Faccini , Leonardo Melosi , Russell Miles: The Effects of the “Great Resignation” on Labor Market Slack and Inflation, Chicago Fed Letter, No. 465, Feb 2022.

[4] Nach Daten der Federal Reserve Bank of Atlanta konnten Job-Wechsler im Januar 2022 einen Lohnanstieg von 5,8 % erzielen, ihrem Job treugebliebene Arbeitnehmer hingegen „nur“ von 4,7 % (jeweils gegenüber Vorjahr, gleitender 3M-Durchschnitt). Vgl. www.atlantafed.org/chcs/wage-growth-tracker.

Geldpolitik gefordert

Corona-Pandemie war Zäsur für den US-Arbeitsmarkt, die dessen Struktur nicht geändert hat

Für die US-Geldpolitik gilt es zu unterscheiden, ob die hohe Wechselbereitschaft von Arbeitnehmern ein temporäres Phänomen ist oder einen neuen Arbeitsmarkttrend ausgelöst hat, der lohnseitig für strukturellen Inflationsdruck sorgt und demnach von ihr zu bekämpfen wäre. Festzuhalten ist, dass die Gründe für die derzeit hohe Zahl freiwilliger Kündigungen jedenfalls vielfältig sind. Mancher Arbeitnehmer mag die Pandemie als ein existenzielles Ereignis betrachten und seinen Job im Zuge einer persönlichen Neuausrichtung (u. a. Sinnkrise, andere Work-Life-Balance, hohe Arbeitsbelastung, Stressabbau) gekündigt haben oder früher in den Ruhestand getreten sein. So ist die Welle zum Beispiel in der IT-Branche und im Gesundheitswesen deutlich stärker ausgeprägt als anderswo. Die meisten Arbeitnehmer dürften es sich finanziell allerdings kaum leisten können, die Arbeit auf Dauer vollständig ruhen zu lassen. Das spricht unseres Erachtens gegen eine auf Dauer angelegte tiefgreifende Beziehungsänderung des Einzelnen zu seinem Arbeitsleben.

Auf Dauer dem Arbeitsmarkt fern zu bleiben klappt nur, wenn finanzielle Mittel bereitstehen

Womöglich haben sich viele Arbeitnehmer wegen der 2020 unsicheren Konjunkturaussichten auch einfach nicht getraut, ihren Job zu kündigen. Aufgrund der gegenwärtig guten Arbeitsmarktsituation mit vielen offenen Stellen fällt es ihnen nun leichter, ein besseres Job-Angebot anzunehmen. Ferner dürfte die Kündigungswilligkeit ab Anfang 2021 durch vorübergehende Staatshilfen befördert worden sein. Infolge der Lockdowns kam es in den USA zudem verstärkt zu freiwilligen Arbeitsmarktaustritten, da sich beispielsweise Eltern verstärkt um Kinder und andere Familienangehörige kümmerten. Sind finanzielle Polster aber aufgebraucht bzw. verliert die Pandemie an Intensität, dürften viele wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Auch dies spricht für eine nur vorübergehend hohe Wechselwilligkeit.

Wechselwilligkeit unterstreicht Leitzinserhöhungs-Ambitionen der US-Notenbank

Aus unseren Überlegungen schließen wir: Der von der Kündigungswelle zurzeit ausgehende hohe Lohn- und Inflationsdruck wird sich perspektivisch abschwächen.[1] Da dies aber nicht in Stein gemeißelt ist, wird die US-Notenbank die hohe Wechselwilligkeit von Arbeitnehmern zum Anlass nehmen und ihre aktuellen Leitzinserhöhungsabsichten untermauern. Die im zweiten Halbjahr 2022 wohl abnehmende Kündigungswelle dürfte den Zinserhöhungselan der Fed für 2023 bremsen.   

 

[1] Eine hohe Rate bei freiwilligen Kündigungen wird oft als zuverlässiger Frühindikator für Lohndruck angesehen. Vgl. dazu Jason Furman und Wilson Powell III, What is the best measure of labor market tightness?, Peterson Institute for International Economics, November 2021.

Erläuterungen

Abkürzung Erklärung
3MD 3-Monatsdurchschnitt (auch: gleitender 3-Monatsdurchschnitt)
DEU, ESP u. a. Abkürzungen nach Ländercodeliste
DIN ISO 3166
Fed Federal Reserve Bank (US-Notenbank)
IT Informationstechnologie
Mio Millionen
USA United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)

Begriffserklärungen

Umfasst sämtliche Maßnahmen, die eine Notenbank zur Verwirklichung ihrer Ziele ergreifen kann.

Allgemeine und anhaltende Steigerung des Preisniveaus bei Gütern und Dienstleistungen.

Veränderung der Verbraucherpreise, die in der Regel gegenüber dem Vormonat und dem Vorjahr ermittelt wird.

Zentrales Element, mit dem eine Notenbank ihre Geldpolitik steuert.

Auf staatliche Anordnung hin (nahezu) stillgelegtes öffentliches und wirtschaftliches Leben für einen bestimmten Zeitraum

Eigenständige Institution, die mit der Durchführung der Geldpolitik betraut ist. Bei unterschiedlichen staatlichen Abhängigkeitsgraden zielt ihr Wirken meist auf die Höhe eines bestimmten Beschäftigungsgrades und/oder auf die Wahrung einer festgelegten Preisniveaustabilität ab.

Die von einer Notenbank angestrebte Höhe des nationalen Verbraucherpreisanstiegs (Inflationsrate)

Hier verwendet im Sinne eines ausgewogenen Verhältnises zwischen den beruflichen Anforderungen und den privaten Bedürfnissen einer Person

Wichtige Hinweise

Die Angaben in dieser Studie basieren auf öffentlichen Informationsquellen, die der Verfasser bzw. die Verfasser als zuverlässig erachtet / erachten. Weder die Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG noch ihre verbundenen Unternehmen noch die gesetzlichen Vertreter, Aufsichtsratsmitglieder und Mitarbeiter dieser Unternehmen übernehmen eine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben, deren Vollständigkeit und Genauigkeit. Alle in dieser Studie geäußerten Meinungen und Bewertungen geben allein die Einschätzung desjenigen Verfassers / derjenigen Verfasser, der / die diese Studie erstellt hat / haben, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder, die nicht notwendigerweise den Meinungen und Bewertungen anderer Geschäftsbereiche der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG oder ihrer verbundenen Unternehmen entsprechen. Alle Meinungen und Bewertungen können jederzeit ohne vorherige Ankündigung geändert werden. Sie können auch von Einschätzungen abweichen, die in anderen von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG veröffentlichten Dokumenten, einschließlich Research-Veröffentlichungen, vertreten werden.

Diese Studie richtet sich ausschließlich an Personen mit Geschäftssitz in der Europäischen Union sowie der Schweiz und Liechtenstein, denen die Bank sie willentlich zur Verfügung gestellt hat. Die Inhalte dienen ausschließlich Informationszwecken und sind nicht als Angebot oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten zu verstehen.

Die Erstellung und Verbreitung dieser Studie untersteht dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Verbreitung in anderen Jurisdikti-onen kann durch dort geltende Gesetze oder sonstige rechtliche Bestimmungen beschränkt sein. Personen mit Sitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, in deren Besitz diese Studie gelangt, müssen sich selbst über etwaige für sie gültige Beschränkungen unterrichten und diese befolgen. Ihnen wird empfohlen, mit den Stellen ihres Landes, die für die Überwachung von Finanzinstrumenten und von Märkten, an denen Finanzinstrumente gehandelt werden, zuständig sind, Kontakt aufzunehmen, um in Erfahrung zu bringen, ob Erwerbsbeschränkungen bezüglich der Finanzinstrumente, auf die sich diese Studie bezieht, für sie bestehen. Diese Studie darf weder vollständig noch teilweise nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise, außer im Falle der vorherigen schriftlichen Genehmigung durch die Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG.

ICE Benchmark Administration Limited makes no warranty, express or implied, either as to results to be obtained from the use of ICE Libor and / or the figure at which ICE Libor stands at any particular time on any particular day or otherwise. ICE Benchmark Administration Limited makes no express or implied warranties of merchantability or fitness for a particular purpose in respect of any use of ICE Libor.

Die folgende deutsche Fassung des ICE Benchmark Administration Limited Disclaimers dient nur der Information des Lesers. Im Falle von Abweichungen zwischen der englischen und der deutschen Fassung gilt daher nur die englische Fassung:

ICE Benchmark Administration Limited übernimmt weder ausdrücklich noch konkludent eine Garantie für die durch die Nutzung von ICE Libor erzielten Ergebnisse und/oder den Wert, den ICE Libor zu einem speziellen Zeitpunkt, einem speziellen Tag oder anderweitig aufweist. ICE Benchmark Administration Limited übernimmt hinsichtlich der Nutzung von ICE Libor weder ausdrücklich noch konkludent Garantien für die Marktfähigkeit oder Eignung zu einem speziellen Zweck.

Herausgeber dieser Studie ist die Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG, Kaiserstraße 24, 60311 Frankfurt am Main,
HRA-Nr. HRB 108617, Amtsgericht Frankfurt.

Verantwortlicher Redakteur und Ansprechpartner ist:

Dr. Alexander Krüger
Hauck Aufhäuser Lampe Economic Research
Schwannstraße 10
40476 Düsseldorf

alexander.krueger@hal-privatbank.com
Telefon +49 211 4952-187
Telefax +49 211 4952-494