Aktien: Wie viel Gewinnrisiko liegt vor uns?
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Aktien: Wie viel Gewinnrisiko liegt vor uns?

Markt & Wirtschaft

17. Februar 2023

Lesezeit: 7 Minuten

Die laufende Berichtssaison bestätigt unsere Erwartung, dass die Gewinne in 2023 fallen werden. Die Analysten dürften ihre Prognosen in den kommenden Wochen nach unten revidieren. Auch wenn das Risiko eines schweren Konjunktureinbruchs abgenommen hat, befindet sich die Wirtschaft dennoch in einem Abschwung. Kursrückschläge an den globalen Aktienmärkten sind in solchen Konjunkturphasen erwartbar. Daher gewichten wir Aktien leicht unter.

In den USA nähert sich die Berichtssaison, in der die Unternehmen ihre Bilanzzahlen zum vierten Quartal des vergangenen Jahres vorstellen, ihrem Ende. Das Gewinnwachstum im S&P 500 ist das erste Mal seit der Covid-Rezession negativ (ca. -5% ggü. 4. Quartal 2021). Zudem liegen sowohl Umsatz als auch Gewinne nur leicht über den Erwartungen der Analysten: So übertreffen die tatsächlich berichteten Gewinne die erwarteten bisher nur um 1,1%, was deutlich unter dem 10-Jahresdurchschnitt für den „Überraschungsumfang“ von 6,4% liegt. Auf Sektorebene überraschten vor allem die Berichte der Versorgungsunternehmen positiv (86% der Unternehmen). Am anderen Ende der Skala konnten hingegen nur 48% der Konzerne im Sektor „Communication Services“ die Erwartungen überbieten (Datenquelle: Factset, Stand: 10. Februar).

Mauer Gewinn-Ausblick belastet Markt kaum

Die Berichte bestätigen die Erwartung, dass die Gewinnmargen fallen und die gesamte fundamentale Lage für die Unternehmen herausfordernder geworden ist. Auch im Ausblick überwiegen die Moll-Töne: Die Vorstände blicken – wie dies die fallenden Stimmungsindikatoren in den USA angedeutet hatten – skeptischer auf das Jahr 2023. Die Analysten folgen diesen Unternehmungsausblicken und revidieren ihre Schätzungen im Durchschnitt nach unten. Grundsätzlich ist ein Rückgang im ersten Monat des Jahres üblich. Jedoch ist der Revisionsumfang derzeit deutlich höher als im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Nun rechnen die Analysten für 2023 mit einer Stagnation der US-Gewinne auf dem Niveau von 2022. Die Marktteilnehmer haben die Berichtssaison trotzdem gut verarbeitet. Die unmittelbare Kursreaktion auf negative Berichte war deutlich weniger stark ausgeprägt als im fünfjährigen Durchschnitt. Dies lag unseres Erachtens an zwei Faktoren:

1. Positiver Markttrend: Der Gesamtmarkt profitiert derzeit von der Hoffnung auf eine geringere Belastung durch Inflation und Zinserhöhungen. Bei im Trend steigenden Märkten ist auch die Reaktion auf negative Berichte weniger ausgeprägt.

2. Restrukturierung: Dem Markt gefiel, dass zahlreiche Unternehmen Kosteneinsparungsprogramme angekündigt haben. Gerade im Technologiesektor, in dem insbesondere die kurzfristigen Wachstumserwartungen der Firmen deutlich unter den bisherigen Annahmen der Analysten lagen, wurde viele Stellenstreichungen angekündigt. Die bescheideneren Langfristplanungen kamen am Markt gut an.

Kursreaktionen auf Gewinnüberraschungen

Quelle: Factset, durchschnittliche Kursreaktion der Aktien am Tag nach der Berichtsveröffentlichung, in Prozent

Solide Berichtssaison in Europa

Mit Blick auf Europa ist ein Resümee der Berichte zum vierten Quartal noch nicht angebracht, da mehr als die Hälfte der Unternehmen noch nicht berichtet hat. Der Zwischenstand sieht jedoch positiv aus. Die Gewinne liegen klar über den Erwartungen der Analysten: So konnten die Unternehmen im MSCI Europa Index 9% höhere Gewinne erzielen als erwartet (Quelle: IBES). Für den STOXX 600 beträgt das Ausmaß der Gewinnüberraschungen 7,5% (Bloomberg).

Wie in den USA deutet sich an, dass die Gewinne auch in Europa im Schlussquartal 2022 gegenüber dem Schlussquartal 2021 geschrumpft sind. Für die kommenden Quartale erwarten die von Bloomberg befragten Analysten nun ebenfalls niedrigere Gewinne als 2022. Die Revisionen für das Gesamtjahr 2023 bleiben jedoch in etwa im Rahmen der zu Jahresbeginn üblichen Anpassungen, siehe Grafik unten. Diesbezüglich waren die beiden vergangenen Jahre Ausreißer, die vermutlich teilweise den Optimismus der Analysten-Community erklären, siehe Grafik rechts. Vereinfacht würden wir sagen, dass der negative Einfluss der Pandemie und der kurzfristige Einfluss des Krieges überschätzt und der fiskalpolitische Impuls unterschätzt wurden. Unter diesem Eindruck haben sich die Analysten bisher gescheut, pauschale Abschläge vorzunehmen, und erwarten nun mehr oder weniger stagnierende Gewinne für das Jahr 2023.

Revisionen durchschnittlich

Quelle: Morgan Stanley, prozentuale Veränderung gegenüber Vorjahr

Revisionen – noch nicht Ende der Fahnenstange

Wie geht es nun mit Blick auf die Gewinnprognose weiter? Wir erwarten weiterhin, dass die Gewinne der Unternehmen im STOXX Europe 600 im Jahr 2023 fallen werden. Nachdem unsere Volkswirte ihre BIP-Jahresprognose nach besseren Wirtschaftsdaten angehoben haben, haben wir unsere Prognosen zwar auch leicht angepasst, sind aber wie schon beim Jahresausblick pessimistischer als der Konsens der Analysten. Wir prognostizieren ein Minus bei den Unternehmensgewinnen in Höhe von 5% im Vergleich zum Jahr 2022. Hierbei tragen wir sowohl der niedrigeren Inflation als auch der EUR-Aufwertung Rechnung. Der Außenwert der Gemeinschaftswährung lag im Januar erstmals seit Juni 2021 wieder höher als im Vorjahresmonat. Die im Ausland erzielten Gewinne werden so gemindert - auch ohne, dass wir die negativen Auswirkungen auf die Umsätze berücksichtigen.

Erwartetes Gewinnwachstum

Quelle: Bloomberg, Konsensprognose, prozentuale Veränderung gegenüber Vorjahr

Für die USA könnte sich der Währungseffekt 2023 positiv auswirken. Die einschlägigen Frühindikatoren haben die Gewinnaussichten hingegen seit Jahresbeginn verschlechtert. Die vorsichtigeren Ausblicke der Unternehmensentscheider unterstreichen, dass der Druck auf die Gewinnrevisionen noch anhalten wird. Es belastet die hohen Lagerbestände und die geringere Nachfrage der Konsumenten – insbesondere nach Konsumgütern. Die Unternehmen leiden vielfach unter einem negativen operating leverage, d.h. sie erwirtschaften nicht genug Erträge um die fixen Kosten zu decken.

Revisionen – na und?

Die große Frage für Aktienmarktinvestoren ist jedoch vor allem, ob die Gewinnrevisionen nach unten irgendwann die Kurse stärker tangieren oder ob die Marktteilnehmer sich weiterhin auf eine zukünftige Erholung der Konjunktur und das Ende des Zinserhöhungszyklus konzentrieren. Laut einer Studie der US-Bank Morgan Stanley1 ist ein erwarteter Rückgang der Gewinne auf Sicht der kommenden zwölf Monate ein starkes Signal für eine negative Aktienperformance: In den vergangenen 23 Jahren trat ein solches negatives Gewinnwachstum in den USA nur viermal (2001, 2008, 2015, 2020) auf. In jedem dieser Fälle korrigierten auch die Aktienmärkte. Ist auch dieses Mal die Zukunft in einem statistischen Sinne wie die Vergangenheit?

Mittelfristig sind unseres Erachtens die Markterwartungen entscheidender als die Prognosen der Aktienanalysten. Insofern können die Kurse bereits wieder steigen, ohne dass die Gewinne oder die Gewinnschätzungen ihren Tiefpunkt erreicht hätten, weil die Marktteilnehmer auf eine Erholung setzen. Auf den aktuellen Bewertungsniveaus und in Anbetracht der Marktstimmung denken wir nicht, dass dieser Effekt in den kommenden Wochen rasch einsetzen wird. Die Freude über eine weniger heftige Rezession und die in der Tendenz fallenden Zinsen haben die Bewertungen in den vergangenen drei Monaten stark steigen lassen, sodass der Bewertungspuffer, den insbesondere Europa hatte, nun abgeschmolzen ist. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis befindet sich die Bewertung des europäischen Aktienmarktes nun wieder im Rahmen des 10jährigen Durchschnitts.

Wir folgern daraus, dass nun kein Rückgang der Gewinne eingepreist wird. Dies dürfte sich in unserem Basisszenario bereits bis Ende des Quartals ändern. Wie im Jahresausblick beschrieben und von den negativen Ausblicken bestätigt, dürften sich die Probleme der Unternehmen von den hohen Inputkosten hin zur schwächer werdenden Nachfrage verschieben. Diese Korrekturen an den Bilanzzahlen werden zwar erst in der Berichtssaison zum ersten Quartal 2023 ab Ende April bestätigt, die Unternehmen könnten aber schon auf den nun wieder vermehrt anstehenden Kapitalmarktkonferenzen zunehmend durchscheinen lassen, dass der Jahresstart schwierig war.

Fazit: Es wird holpriger

Mit Blick auf die kommenden Wochen sind wir skeptisch, dass es weitere, deutlich positive Impulse für den europäischen Markt geben wird. Denn eine globale Rezession ist wohl bereits ausgepreist worden. Enttäuschungen sind somit angesichts der positiveren Grundstimmung einfacher möglich. So dürften sich die Hoffnungen auf eine stärkere Nachfrage aus China mit Blick auf die Industrie eher nicht erfüllen. Denn die Erholung in China dürfte in unseren Augen stark vom Konsum – insbesondere von Dienstleistungen wie Reisen – getrieben sein.

Zudem bleiben wir dabei, dass sich die Konjunktur abschwächen wird. Dafür sprechen die Frühindikatoren, die zunehmende bremsende Wirkung der Geldpolitik und auch die inversen Zinsstrukturkurven sowohl in den USA als auch in Deutschland. Unserer Meinung nach ignoriert der Markt derzeit, dass auch ein Abschwung ohne unmittelbare Rezession dafür spricht, dass risikoreichere Assetklassen schwächeln. Daher bleiben wir dabei, Anleihen gegenüber Aktien zu bevorzugen und halten zudem eine Liquiditätsposition.

Die Konjunkturentwicklung ist weiterhin recht unsicher und ist stark davon abhängig, ob die Zentralbanken wegen der sich nur langsam abschwächenden Inflationsdynamik gegebenenfalls übersteuern. Dies würde Risikopapiere stark belasten. Des Weiteren könnte sich das chinesische Wachstum durch weitere fiskalpolitische Maßnahmen schneller beschleunigen, als derzeit unterstellt. Inflationseffekte aus China könnten das Inflationsbild jedoch noch komplexer machen.

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Redaktionsschluss: 20. Januar 2023