China: Wie nachhaltig ist das Re-Opening?
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China: Wie nachhaltig ist das Re-Opening?

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27. Januar 2023

Lesezeit: 7 Minuten

Die zweitgrößte Volkwirtschaft der Welt hat die Märkte zu Beginn des neuen Jahres positiv überrascht. Im zweiten Quartal 2023 dürfte die Umkehr bei der Covid-Strategie zu einer schwungvollen Konjunkturerholung führen. Davon werden wohl nicht nur der lokale Aktienmarkt, sondern auch vor allem europäische Aktienmärkte profitieren. Nach einem fulminanten Jahresstart der europäischen und asiatischen Aktienmärkte sehen wir jedoch eher mittelfristig als kurzfristig weiteres Aufwärtspotential.

China ist der Motor der Weltwirtschaft – diese Regel, die lange Zeit Bestand hatte, galt im vergangenen Jahr allerdings nicht. Anlegerinnen und Anleger erlebten mit Blick auf das Reich der Mitte sogar ein höchst anspruchsvolles Jahr 2022. Die Gründe dafür waren zahlreich, insbesondere die herrschende Null-Covid-Politik bremste die Wirtschaft aus. Mit entsprechenden Auswirkungen auf die Konjunktur in zahlreichen weiteren Ländern. Zudem sorgte der Immobiliensektor für erhebliche Unsicherheiten. Und der Außenhandel litt unter einer gedämpften Auslandsnachfrage, nicht zuletzt in Folge der Leitzinserhöhungen der großen Notenbanken. Wird 2023 alles anders? Bereits die ersten wichtigen Lockerungsschritte der Covid-Politik Chinas im Dezember vergangenen Jahres (auf welche die Abkehr von der Null-Covid-Strategie mit den vollzogenen Grenzöffnungen im Januar 2023 folgte), hatten einen positiven Einfluss auf die Konjunktur. So lagen die jüngsten Aktivitätskennzahlen (Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze, Anlageinvestitionen) aus dem Dezember zum Teil bereits deutlich über den Erwartungen. Auch das Bruttoinlandsprodukt ist im Schlussquartal 2022 gegenüber dem Vorquartal nach offizieller Verlautbarung überraschenderweise nicht geschrumpft.

 

Lockerungsschritte mit nachhaltiger Wirkung

Grundsätzlich sind die skizzierten landesweiten Lockerungsschritte in China positiv zu beurteilen. Zum einen überfordert es den Staat in einem fiskal- und gesellschaftspolitischen Sinne langfristig, dauerhaft restriktive Maßnahmen in Bezug auf die Pandemie umzusetzen. Die Staatsverschuldung hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Zum anderen haben die vergangenen Quartale gezeigt, dass die Null-Covid-Strategie keine effektive Antwort auf das Infektionsgeschehen gewesen ist.

Konsum mit Nachholbedarf

Quelle: Bloomberg, Umsätze nominal, Index 2012=100; Stand: Januar 2023

Unterm Strich dürfte der private inländische Konsum von den Lockerungen in den kommenden Quartalen profitieren. Die einfache Logik dahinter: Wenn die Bevölkerung weniger in Quarantäne ist, kann sie verstärkt in die Geschäfte strömen, Dienstleistungen in Anspruch nehmen und reisen. Auch die Unternehmen sollten wieder positiver in die Zukunft blicken und vermehrt Investitionen tätigen. Positiv ist auch zu werten, dass die chinesische Regierung in den vergangenen Monaten ihre Politik für den wichtigen Immobiliensektor geändert hat und Immobilienentwicklern finanziell unter die Arme greift. Dies wiederum stützt die Gesamtwirtschaft. Wie unsere Volkswirte in ihrem Economic Research KOMPAKT vom 18.01.2023 schreiben, könnte der BIP-Zuwachs im laufenden Jahr vor diesem Hintergrund und möglichen neuen Stimulierungsmaßnahmen bis zu 6,0 Prozent betragen. Die größte Dynamik erwarten wir dabei im zweiten Quartal; dann sollte die jüngste Anpassung der Covid-Strategie mit voller Wirkung sichtbar werden. Global könnte die chinesische Konjunkturerholung mittels der steigenden Mobilität und mithin höheren Nachfrage nach Öl zu Aufwärtsrisiken bei der Inflation führen. Die Erholung dürfte insgesamt stark durch den privaten Konsum getrieben sein, wodurch die von der Regierung gewünschte Transformation des chinesischen Wirtschaftsmodells (Dual-Circulation-Politik) – Reduzierung der Exportabhängigkeit und Erhöhung der konsumbasierten Wirtschaftsbereiche – unterstützt wird.

 

Steigende Kurse am chinesischen Aktienmarkt

Der CSI 300 Aktienindex ist seit dem Jahrestief 2022 Ende Oktober (seit Jahresbeginn 2023) um rund 18,5 Prozent (7,6 Prozent) gestiegen. Höhere Kursniveaus bei den chinesischen Aktienindizes sind aber keine Einbahnstraße. Die Covid-Lockerungen müssen sich noch beweisen (und das Wirtschaftswachstum über den privaten Konsum tatsächlich ankurbeln). Je nach Infektionsverlauf könnte die jüngst empor geschnellte Mobilität der chinesischen Bevölkerung nochmal einen Dämpfer erhalten. Zudem bleibt abzuwarten, wie lange die wichtigsten westlichen Notenbanken (Fed, EZB) die Leitzinsen 2023 im restriktiven Terrain belassen und so möglicherweise die globale Konjunktur spürbar dämpfen. Hiervon kann sich China (noch) nicht vollständig abkoppeln. Denn der Außenhandel spielt für China weiter eine wichtige Rolle (wenngleich die Bedeutung graduell abnimmt). Für chinesische Aktien spricht grundsätzlich das attraktive (Kurs-)Ausgangsniveau, die robuste Gewinndynamik der lokalen Unternehmen sowie die günstige Bewertung.

Im besten Fall (i) bleibt der Winter in Europa „mild“, was die Nachfrage nach chinesischen Waren positiv beeinflusst (weil die Rezession in Europa weniger stark ausfällt); (ii) macht die Inflation beiderseits des Atlantiks eine zügige Kehrtwende, was die großen Notenbanken zu einem weniger restriktiven Kurs veranlasst (mit ersten Zinssenkungen im vierten Quartal 2023); (iii) zeigt die angepasste Covid-Strategie in China Erfolge; (iv) unterstützt der chinesische Staat nachhaltig den Immobiliensektor und unterstützt die Binnennachfrage mit expansiver Fiskalpolitik; (v) unterlässt China eine zu aggressive Regulatorik (nicht zuletzt gegenüber westlichen Firmen).

Chinesischer Aktienmarkt mit Dynamik

Quelle: Bloomberg, Index Jan. 2018 = 100; Stand: Januar 2023; die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklun

Im schlechtesten Fall wird die Erholung weniger dynamisch werden: (i) die Fiskalpolitik bleibt defensiv; (ii) die Sparquoten fallen nicht unter das Vor-Pandemie-Niveau, weil (iii) die schwache Immobilienpreisentwicklung die Vermögen belastet; (iv) Fed und EZB bleiben länger als erwartet im restriktiven Leitzins-Terrain.

Mobilität

Quelle: Bloomberg, Stand: Januar 2023.

Europäischer Markt im Sog der China-Öffnung

Die Hoffnung auf eine schnelle Erholung der chinesischen Konjunktur hat einen signifikanten Beitrag zur jüngsten Rally der europäischen Aktien geliefert. Dies ist daran ablesbar, dass sich die Aktien der Unternehmen mit einem signifikanten China-Geschäft relativ seit Jahresbeginn besser entwickelt haben als vergleichbare Aktien. Zudem gibt es unseres Erachtens auch einen indirekten positiven Effekt für europäische Aktien, die insgesamt als stärker abhängig von den Schwellenländern eingestuft werden. Denn die Aufhebung der Null-Covid-Politik Chinas unterstützt das Narrativ, dass der europäische Markt – in erster Linie aufgrund seiner günstigen Bewertung – derzeit attraktiver ist als der US-Markt. Wie relevant ist China tatsächlich? Das Geschäft mit China ist für etwa 8 Prozent der Gewinne der Firmen im MSCI Europa verantwortlich gewesen in den vergangenen Jahren. Der Umsatzanteil ist etwas geringer. Die Margen dort entsprechend etwas höher für die Europäer (Quelle Morgan Stanley). Die Bedeutung ist jedoch von Branche zu Branche sehr verschieden. Die Branchen mit dem höchsten Umsätzen-Anteil in China sind die Halbleiterindustrie, langlebige Konsumgüter, Bergbau, Haushaltsgüter und Chemie. In diesen Branchen liegen die Umsätze in laut Bloomberg bei 10 Prozent oder mehr des Gesamtumsatzes.

 

Steiniger Erholungspfad

Mit Blick auf die kommenden Wochen sind wir skeptisch, dass aus China weitere positive Impulse für den europäischen Markt kommen werden. Es ist nun bereits eine substantielle Konsumerholung eingepreist. Die Marktakteure schauen aktuell durch die kommenden schwierigen Wochen hindurch und fokussieren sich auf das Ende der heftigen Covid-Welle. Allerdings sind negative Überraschungen durch Wellen und die Aktivitätsabnahme angesichts der positiven Grundstimmung nun wieder leichter möglich. Wenn im Frühjahr die Infektionszahlen nachhaltig zurückgehen, könnte das Zurückschnappen der Nachfrage jedoch positiv überraschen. Auch in den USA und in Europa wurde der Rückenwind durch die Normalisierung des öffentlichen Lebens unterschätzt. Die Basiseffekte sind massiv. Im April und Mai 2022 litt die Binnenkonjunktur massiv unter den Restriktionen. Sollte sich der Alltag in beiden Monaten in diesem Jahr normalisieren, können die Einzelhandelsumsätze auch 30 Prozent oder mehr höher liegen als im Vorjahr.

Wie auch zu Beginn der Öffnungshoffnungen dürften Reise-Konzerne, Luxus-Konsumgüter-Hersteller und chinesische Dienstleistungsunternehmen profitieren. Von einer Normalisierung des Konsums von Dienstleistungen profitieren ausländische Firmen kaum, es sei denn, sie werden auf einer Reise nach Europa konsumiert. Wie auch in den vergangenen Wochen dürften innerhalb des europäischen Aktienuniversums vor allem der Sektor „langlebige Konsumgüter“ von der chinesischen Konjunkturerholung profitieren. Die weltweite Material- und Metallnachfrage leidet eher unter den strukturellen Problemen des chinesischen Immobilienmarkts und weniger unter der Covid-Politik, insofern dürften zwar auch für diese Branchen wie auch für die Industrie ein positiver Impuls von Chinas höherem BIP-Wachstum ausgehen. Der Impuls ist aber deutlich schwächer als in der Vergangenheit, da sich das Wachstum in China anders zusammensetzt. Zudem hängt die europäische Industrie stark an der globalen Konjunktur. Da unsere Volkswirte auch für 2024 nur maues Wachstum des globalen BIP erwarten (2,7 Prozent), bleiben wir für diesen Sektor vorsichtig.

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Redaktionsschluss: 20. Januar 2023